A. M. Monkewitz’ kraftvoller malerischer Blick des Post-Hyperrealismus – kunsthistorische Einordnung von S. Sunda

Vom Mensch mit der Kamera1 zum Mensch mit Palette und Pinsel –

A. M. Monkewitz’ kraftvoller malerischer Blick des Post-Hyperrealismus

 

Nachdem wir Fotorealismus wie Hyperrealismus sicher in den respektierten Annalen der Kunstgeschichte verstaut hatten, malt hier eine Künstlerin (*1979) auf den ersten Blick wie eine Zeitgenossin von Richard Estes, Ralph Goings, Gerhard Richter oder Franz Gertsch. Tatsächlich?

 

Alexandra Mia Monkewitz perambuliert durch Leben und Welt und fotografiert Ausschnitte; oder besser, selektiert sie. Noch bevor sie im Studio steht, bereitet sie mental die Farbmischungen vor, um möglichst genau zu treffen, was sie sah. Memorisiert den Lichteinfall, obschon sie ihn ja durch den fotografischen “Schuss” bereits festhielt. Die Intention ist nun keineswegs jene hyperrealistische, zuerst in einem (teils hypermaskulinen) Künstlergestus seine Virtuosität zu demonstrieren, um danach oft noch verzerrende oder “destruktive” Techniken anzuwenden wie Richters Rakel.

Künstlerischer Impetus von Monkewitz ist die Liebe zum Sehen und zur Transformation durch die Cadrage.

Wie schon John Berger in seinem bahnbrechenden BBC-Programm “Ways of Seeing” 1973 anschaulich zeigte, verändert sich die Bedeutung eines Gemäldes drastisch bei einer Veränderung der Setzung des Ausschnitts: so wird ein tief mythologisches Geschehen, bei dem eine Hundefigur beteiligt ist, bei der Bildausschnittreduktion nur auf diesen kaninen Mitspieler zu einem banalen Bildchen eines blossen Haustiers.

Wo Berger den Verlust der künstlerischen Magie demonstrierte, betreibt Monkewitz hingegen das genaue Gegenteil: sie adelt durch die ausgewählte Kadrierung den zuvor herumwabernden Realitätsfetzen zu einem aufgewerteten, durch ihren Malerblick gerahmten Bild. Es ist eine Weltneugier: eine Lust am Sehen und am Schaffen. Der transformierende Blick des Künstlers erhöht das Leben über das schale Vegetieren und gestaltet die Wirklichkeit neu.

Der Superrealist Chuck Close verfertigt seine unzähligen, fast zwanghaft angehäuften Porträts nicht zuletzt, um sich mit seiner künstlerischen Energie seiner Prosopagnosie entgegenzustellen (also der Unfähigkeit, sich Gesichter zu merken). Die Kraft der Gestaltung und der Interpretation der Realität macht das Leben nicht nur lebenswerter, sondern geradezu erst bewältigbar…

Wenn Monkewitz einen kleinen Ausschnitt einer Schnellstrassenbrücke selektiert, vollzieht sie, ähnlich einem Casting der Solotänzerin aus einer Schar von Chorus-Line Tanzgruppen, eine Transformation der Wirklichkeit. Sie drückt ab – nach Laszlo Földenyi ist dies die technikgeschichtliche Fortsetzung der fallenden Klinge der Guillotine2. Gleichzeitiges Beenden und Bewahren also. Hinzu tritt nun der bewahrende Charakter einer solchen Zeitguillotine: akribisch misst sie den Lichteinfall mit ihren Malinstrumenten im Geiste, erspürt sie Farbtöne, interpretiert somit mit inspiriertem Auge das gewählte Segment des Sehfeldes. Poetisch lässt sich dieses Sehen wohl am ehesten in William Blakes Worten fassen:

To see a world in a grain of sand

And a heaven in a wild flower.

Hold infinity in the palm of your hand,

And eternity in an hour.

 

Die grösste Parallele in der Maltechnik verläuft wohl mit Franz Gertsch, welcher seine Technik als Wahrnehmungswerkzeug des Wirklichen sah. Über Gertschs Vorgehen schreibt Markus Klammer: “Die vorgegebene Realität durch die Kamera als Medium wird einer gestaltenden Kontrolle unterzogen, kompositorische Eingriffe wie die Balance von Nähe und Ferne, von Volumen und Perspektive, von Wirklichkeit und Abstraktion sind jedoch keine Entscheidungen, die im Malprozess gefällt werden, sie sind bei der Auswahl der Fotovorlage schon vorausbestimmt. Das Foto gibt die Komposition vor, das Motiv braucht nicht erfunden und die Perspektive nicht konstruiert zu werden. Durch das Foto ist der Künstler zwar gegenständlich festgelegt, denn es entsteht ein Bild, das schon da ist. Und die Identität mit der Wirklichkeit ist, so scheint es, vollkommen, die Differenz aber ist auf die Spitze getrieben, es ist jene zwischen Malerei und Realität. Dieser Unterschied wird sogar bis zur Unvergleichbarkeit gesteigert, wenn man bedenkt, dass sich das Manipulationsregister oder Aktionsfeld, mit dem der Künstler seine Vorgabe bearbeitet, ausschliesslich in den malerischen Bereich verschiebt. Nachdem das Blow-Up, die Vergrösserung der Fotovorlage, festgelegt ist, beginnt erst richtig die Malerei.”3

 

Was Monkewitz’ Werk als Ganzes von dem anderer genannter Künstler abhebt, ist die Finesse, mit der sie vorgeht und zumal die Hinwendung zur Poesie des Alltags, zum Kleinen, Unscheinbaren. Zugleich ist da die Kraft des sezierenden Künstlerblicks beim Beobachten, Ordnen und Aufspüren etwa der verschiedenen Steckdosen und Lichtschalter, ebenso ist da jedoch eine meditative Hingabe ans Objekt, die in dieser Form etwa bei Morandis beinah spirituellen Stilleben oder noch weiter in die Abstraktion hinein gesucht werden müsste.

Wenn Gerhard Richter in seinem Gemälde «Tisch» von 1962, der Nummer 1 seines Werkverzeichnisses, ein Foto eines italienischen Designertisches aus einer Zeitschrift als Vorlage nahm, wurde diese liebevolle (zumindest ambivalent liebevolle) Zuwendung in einem Akt der Zerstörung (Übermalung) sogleich aggrediert. Die Aggression, die ins Bild eingeschrieben ist, wird zur zentralen Aussage. Selbstredend ergibt sich eine künstlerisch ergiebige Spannung aus der Zuwendung zum Objekt und dem nachträglichen Herfallen darüber. Auch diesbezüglich arbeitet Monkewitz gewiss näher an einer Morandi-artigen, glühenden Stille als an anderen Fotorealisten, Hyperrealisten und super realists.

 

Herausstreichen möchte ich hier die Besonderheit der Malvorlage des «getöteten» Objekts im festgefrorenen Moment der Fotografie, wie sie eben die drei letztgenannten Genres pflegen. In der langen Tradition der Malerei besteht seit jeher die Auseinandersetzung des Malers mit dem lebenden oder flüchtigen Objekt: sei dies ein menschliches Modell, das zuviel zuckt oder mault; seien dies Gegenstände, die schnell welken; seien dies aufziehende Wolken, welche die bereits gemalte Lichtsituation zunichte machen.

Es scheint zutiefst zur Mentalität der westlichen Nachkriegskultur zu gehören, dass das Bedürfnis nach diesem «dem Fallbeil zum Opfer gefallenen» (Földenyi) Objekt als Malvorlage so stark ist. Nicht hier indes kann und soll dieser wichtige mentalitätshistorische Aspekt vertieft werden.

 

Abschliessend erneut auf die Kunst des Sehens und die Transformation durch dieses eingehend – wie auch auf die Transformation des dargestellten Objekts selbst durch die Technologie und zurück zur Hand des Künstlers, laden Monkewitz’ Bilder dazu ein, die Tradition des Fotorealismus nach hinten zu verlängern, bis hin zu Dürer und Hoefnagel. In der Ausstellung Hyperrealism: One Step Beyond hinterfragte die Tate Gallery 2006 das Gefühl des «noch-realer-als-die-Realität»: thematisierte neben vormoderner Wissenschaftsbebilderung auch neuste neurobiologische und genetische Forschung, bis hin zum Wunsch nach Transzendenz, der dem Hyperrealismus latent innezuwohnen scheint (gone subterranean).

Wissenschafter und Kulturhistoriker haben jeden Typ und Untertyp von Gräsern definiert, doch diese Erklärungen erschliessen nichts. Es ist Dürer, es ist Gertsch und schliesslich Monkewitz, es ist der künstlerische Geist und vor allem die künstlerische Hand, die sieht. Welche uns sehen und begreifen lässt. Erfasst man die Realität auf solch tiefe Weise wie ein Künstler, produziert man einen Überwert an Realität: dies ist das Paradox des Hyperrealen. Die Intensität des Sehens, die dem Maler Trost und Isolation zugleich ist.

Um mit den Worten der Tate-Kuratorin zu schliessen: the hyperreal seems to me to be a very lonely category.

 

 

Text von Sibylle Sunda 2025

1Dziga Vertovs berühmtes Werk heisst im russischen Original nicht “Mann mit der Kamera”, sondern Человек = Mensch / human being

2Laszlo Földenyi: Der lange Schatten der Guillotine. Lebensbilder aus dem Paris des 19. Jahrhunderts. Berlin 2024

3Franz Gertsch: Dauerhafter Augenblick. 1993. Quelle: markusklammer.it/testi (Zugriffsdatum 15. 3. 2025)

 

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